Der „Illustrirte Dorfbarbier“ – ein in Grimma verlegtes Wochenblatt
Der 1806 in Dresden geborene Ferdinand Stolle lebte seit 1834 für etwa zwei Jahrzehnte in Grimma. Aus dieser Zeit hinterließ er nicht nur einige Erzählungen, Gedichte und Romane (neben dem Buch „Deutsche Pickwickier“ von 1841 auch einige "Erzählungen zu Grimma und Nimbschen" (bei mir als Reprint erschienen und noch verfügbar), sondern auch ein knapp 20 Jahre erscheinendes Wochenblatt: „Der Dorfbarbier“ (ab 1851 „Illustrirter Dorfbarbier“).
Stolle, der eigentlich anders hieß, nämlich tatsächlich „Anders“, war ein Mensch, dem allzeit gültige Normen heilig waren. Um sein Naturell zu kennzeichnen, nennen die Biographen immer wieder „schlichte Geradheit“, „Gemütlichkeit“ und „Sinn für Humor“. Nun zu den 52 Ausgaben des „Illustrirten Dorfbarbiers“ vom Jahr 1857, die uns vorliegen.
Jede Woche, im Format etwas größer als A 4, erschien dieses Blatt mit 8 Seiten. Meist beginnt Stolle als „Dorfbarbier“ auf 1-2 Seiten über die allgemeine politische und wirtschaftliche Lage oder über besondere Begebenheiten der kleinen Welt zu räsonieren. Mitunter eröffnen aber auch Gedichte über den gleichen Gegenstand oder über Historisches den Reigen. Dann kommentieren „Nudelmüller und Breetenborn“ in Kurzdialogen ebenfalls die Zeitgeschichte - auf ihre Art: rabulistisch, bestimmte Begriffe als Wortwitze hin- und herjonglierend.
Wie sah überhaupt die Welt dieses 1857er Jahres aus? Der lose Bund deutscher Fürsten und Fürstchen unterhält in Frankfurt/M. ein Pseudoparlament. Frankreich und Rußland mühen sich mit wechselnden Koalitionen in Europa, den dumpf vor sich hinbrütenden Deutschen Bund im Zaum zu halten und den „kranken Mann am Bosporus“ (Osman.-türkisches Reich) zurückzudrängen. Kleinere Gebiete werden von den Großmächten mal gehätschelt, mal aufgefressen.
Und all das kommentiert der Dorfbarbier zusammen mit dem General von Pulverrauch, wobei dieser Militär nur wenige, meist zur Besinnung mahnende Worte dazwischen rufen darf - knapp und konzentriert, in gewisser Weise zwar obrigkeitsgläubig, doch unbedingt realitäts- und rechtsbewußt.
Stolle, der eigentlich anders hieß, nämlich tatsächlich „Anders“, war ein Mensch, dem allzeit gültige Normen heilig waren. Um sein Naturell zu kennzeichnen, nennen die Biographen immer wieder „schlichte Geradheit“, „Gemütlichkeit“ und „Sinn für Humor“. Nun zu den 52 Ausgaben des „Illustrirten Dorfbarbiers“ vom Jahr 1857, die uns vorliegen.
Jede Woche, im Format etwas größer als A 4, erschien dieses Blatt mit 8 Seiten. Meist beginnt Stolle als „Dorfbarbier“ auf 1-2 Seiten über die allgemeine politische und wirtschaftliche Lage oder über besondere Begebenheiten der kleinen Welt zu räsonieren. Mitunter eröffnen aber auch Gedichte über den gleichen Gegenstand oder über Historisches den Reigen. Dann kommentieren „Nudelmüller und Breetenborn“ in Kurzdialogen ebenfalls die Zeitgeschichte - auf ihre Art: rabulistisch, bestimmte Begriffe als Wortwitze hin- und herjonglierend.
Wie sah überhaupt die Welt dieses 1857er Jahres aus? Der lose Bund deutscher Fürsten und Fürstchen unterhält in Frankfurt/M. ein Pseudoparlament. Frankreich und Rußland mühen sich mit wechselnden Koalitionen in Europa, den dumpf vor sich hinbrütenden Deutschen Bund im Zaum zu halten und den „kranken Mann am Bosporus“ (Osman.-türkisches Reich) zurückzudrängen. Kleinere Gebiete werden von den Großmächten mal gehätschelt, mal aufgefressen.
Und all das kommentiert der Dorfbarbier zusammen mit dem General von Pulverrauch, wobei dieser Militär nur wenige, meist zur Besinnung mahnende Worte dazwischen rufen darf - knapp und konzentriert, in gewisser Weise zwar obrigkeitsgläubig, doch unbedingt realitäts- und rechtsbewußt.
Wie treffsicher Stolle seinen General im Zwiegespräch auftreten ließ und wie gut das bei seinen Lesern ankam, hinterließ er in seinen Lebenserinnerungen: Wenn Stolle nämlich mal irgendwo einen Vortrag hielt und die Bevölkerung zu Sammlungen für die Armen anhielt, geschah es öfter, daß ihn Leute fragten: „Schade, aber der General konnte wohl nicht mitkommen? ... Für den alten Herrn wäre eine Reise wohl zu beschwerlich gewesen?“ Kein Wunder, daß Stolle selbst ein späterer Kritiker mit knirschenden Kiefern bescheinigen muß, „redactionelles Geschick...“ besessen zu haben.
Nahezu alles, was der Dorfbarbier an politischen Einsichten offenbart, kann heutiger Beurteilung standhalten. Für seinen „guten Geist“ liefert Stolle genügend Beispiele. Oft kommt er auf die von fürstlicher Obrigkeit Verfolgten und hart Bestraften von 1848/49 zu sprechen. Gleichzeitig mahnt er die Fürsten, doch nicht, selbst auf belanglosester Ebene, die guten deutschen Farben „Schwarz-Rot-Gold“ aus dem Verkehr zu ziehen, denn: Verbote reizen nun mal zum Nachdenken und zum Übertreten. Lohne sich dieser Aufwand? Im übrigen könne man sich höheren Ortes schon auf den guten Geschmack verantwortungsbewußter Bürger verlassen, ohne jede, hier und da begangene Taktlosigkeit gleich mit generellen Verboten zu beantworten: „Zuviel verbieten kommt gleich nach zuviel regieren.“
Es ehrt Stolle, daß er hin und wieder im Dorfbarbier seinen Berliner Geistesverwandten Glaßbrenner zu Wort kommen läßt. Muß es dem Leser nicht scheinen, als vermelde der uns eine Fernsehnachricht von heute? „Wer ein guter Hofschranze werden will, krümmt sich beizeiten.“ Und dann meint er sogar, die Politikverdrossenheit der Menschen artikulieren zu müssen „Reden ist Silber - Schweigen 3 Thaler Diäten.“ Das steht im „Illustrirten Dorfbarbier“ von Anno 1857 tatsächlich auf Seite 327.
Worte als Bilder hinzumalen und ihnen dann ein anderes Kostüm zu verpassen oder sie gar auf ihren historischen Ursprung zurückzuführen, das liebt er besonders, der Dorfbarbier, der scheinbar harmlos Geschwätzige. Zitieren wir noch, wie der Dorfbarbier den Deutschen sieht: „Der Deutsche gern nach Sternen schaut, doch liebt er auch das Sauerkraut.“ Das war nett ... und als Metapher von kraftvoller Bündigkeit. Man muß es diesem Ferdinand Stolle hoch anrechnen, daß er die Menschen nicht nur auf nette Art unterhielt, sondern sie gleichermaßen lehrte, Dummes und Falsches zu meiden.
Als Nekrolog eine Stimme aus Stolles Heimatstadt Dresden, wo er 1872 starb: „Selten hat jemand wie Ferdinand Stolle verstanden, so populär zu schreiben. Seine Unterredungen zwischen dem General Pulverrauch und dem Dorfbarbier sind stellenweise Meisterstücke volkstümlicher Schreibart. Über ihnen schwebte trotz aller Entschiedenheit, mit der er seine Ansicht verfocht, doch der Geist des versöhnenden Humors. Sein Stil war launig und gemütlich, verletzende Pointen lagen ihm fern, wie er auch die politischen Gegner nie persönlich kränkte. Treu stand er bis zum letzten Augenblicke unter dem Banner des Fortschritts ...“
Nahezu alles, was der Dorfbarbier an politischen Einsichten offenbart, kann heutiger Beurteilung standhalten. Für seinen „guten Geist“ liefert Stolle genügend Beispiele. Oft kommt er auf die von fürstlicher Obrigkeit Verfolgten und hart Bestraften von 1848/49 zu sprechen. Gleichzeitig mahnt er die Fürsten, doch nicht, selbst auf belanglosester Ebene, die guten deutschen Farben „Schwarz-Rot-Gold“ aus dem Verkehr zu ziehen, denn: Verbote reizen nun mal zum Nachdenken und zum Übertreten. Lohne sich dieser Aufwand? Im übrigen könne man sich höheren Ortes schon auf den guten Geschmack verantwortungsbewußter Bürger verlassen, ohne jede, hier und da begangene Taktlosigkeit gleich mit generellen Verboten zu beantworten: „Zuviel verbieten kommt gleich nach zuviel regieren.“
Es ehrt Stolle, daß er hin und wieder im Dorfbarbier seinen Berliner Geistesverwandten Glaßbrenner zu Wort kommen läßt. Muß es dem Leser nicht scheinen, als vermelde der uns eine Fernsehnachricht von heute? „Wer ein guter Hofschranze werden will, krümmt sich beizeiten.“ Und dann meint er sogar, die Politikverdrossenheit der Menschen artikulieren zu müssen „Reden ist Silber - Schweigen 3 Thaler Diäten.“ Das steht im „Illustrirten Dorfbarbier“ von Anno 1857 tatsächlich auf Seite 327.
Worte als Bilder hinzumalen und ihnen dann ein anderes Kostüm zu verpassen oder sie gar auf ihren historischen Ursprung zurückzuführen, das liebt er besonders, der Dorfbarbier, der scheinbar harmlos Geschwätzige. Zitieren wir noch, wie der Dorfbarbier den Deutschen sieht: „Der Deutsche gern nach Sternen schaut, doch liebt er auch das Sauerkraut.“ Das war nett ... und als Metapher von kraftvoller Bündigkeit. Man muß es diesem Ferdinand Stolle hoch anrechnen, daß er die Menschen nicht nur auf nette Art unterhielt, sondern sie gleichermaßen lehrte, Dummes und Falsches zu meiden.
Als Nekrolog eine Stimme aus Stolles Heimatstadt Dresden, wo er 1872 starb: „Selten hat jemand wie Ferdinand Stolle verstanden, so populär zu schreiben. Seine Unterredungen zwischen dem General Pulverrauch und dem Dorfbarbier sind stellenweise Meisterstücke volkstümlicher Schreibart. Über ihnen schwebte trotz aller Entschiedenheit, mit der er seine Ansicht verfocht, doch der Geist des versöhnenden Humors. Sein Stil war launig und gemütlich, verletzende Pointen lagen ihm fern, wie er auch die politischen Gegner nie persönlich kränkte. Treu stand er bis zum letzten Augenblicke unter dem Banner des Fortschritts ...“